Rehabilitierung

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Sonntag, 12. Mai 2019, Muttertag

Als Saulus von Tarsus, ein syrischer Jude mit römischer Staatsbürgerschaft, etwa im Jahr 50 nach neuer Zeitrechnung das Christentum erfand, hatte er womöglich eine ähnliche geistige, kulturelle und rechtliche Befreiung seiner Zeitgenossen im Auge, wie die Aufklärer im 18. Jahrhundert und derzeit wir hier unten.

Denn jedem humanistisch denkenden Menschen damals wie heute muss die Grausamkeit und eigentliche Unmenschlichkeit des Römischen Imperiums trotz all seiner Pracht und Herrlichkeit, wegen des sozialen Canyons und der Gräuel andauernder Kriege zuwider sein. Immerhin kannten die Römer die altägyptischen Mythen, die griechischen Philosophen und aus ihrem Protektorat Palästina die jüdische Eingottlehre. Aber ihre Lebensweise war durch eine kaltherzige Hierarchie gekennzeichnet, in der das Leben der Mitmenschen nur geringen Wert hatte und das der Sklaven, sofern sie keine Spezialisten waren, gar keinen. Fußball war damals noch nicht erfunden. Die damaligen Wettspiele in den architektonisch genial desingten Arenen gingen dafür auf Leben und Tod. Und Verurteilte wurden an den Hauptstraßen entlang zur allgemeinen Abschreckung alleenweise gekreuzigt.

Dies mag einem mitfühlenden Denker und Kenner des altägyptischen Totenbuches, der Thora und griechischer Humanisten abgestoßen und zutiefst bewegt haben. Die Lehren des Saulus, der sich nach seinem Erweckungserlebnis, einer „Vision“, fortan Apostel Paulus nannte, verbreiteten sich, von Kleinasien nach Italien wandernd, ziemlich schnell und lösten bereits in den 60er und 70er Jahren ziemliche Erschütterungen in den Provinzen des Reiches aus. Die spätrömische Dekadenz konnte den neuen Ideen von Gleichheit, Freiheit und Erlösung, die der Syrer verkündet hatte, keine 100 Jahre mehr standhalten. Und bereits im 4. Jahrhundert wurde das Christentum die dominierende Religion, die die neue Rechtsprechung maßgeblich beeinflusste. Das „Christliche Abendland“ entstand.

Heutzutage wird von den eher konservativen Denkern das „Christliche Abendland“ als der Inbegriff des Trägers humanistischer Werte apostrophiert. Jedoch ist die Geschichte des Westens, welcher auf diesem Katholizismus fußt, nicht weniger mörderisch als die des Römischen Imperiums. Nicht nur, dass das „Abendland“ mit seiner Expansion und Missionierung die Urbevölkerungen Nord- und Südamerikas nahezu ausgerottet und die Gesellschaften in Afrika, Indien und Australien hemmungslos ausgebeutet hat, die „christlichen“ Nationen haben spätestens seit dem Auftauchen des Islams verheerende Kreuzzüge gegen diesen, aber auch blutige Kriege untereinander geführt. Und die Inquisition hatte für Dissidenten ähnlich abstoßende Quälereien vorrätig, wie die alten Römer.

Für Deutschland war vor allen der erste „Dreißigjährige Krieg“ des 17. Jahrhunderts katastrophal. Aber auch alle europäischen Kriege danach, erinnert sei nur an die der britischen Königreiche, den großen Nordischen Krieg, die Holländischen Kriege, die siebenjährigen Kriege in Europa und Nordamerika, die Napoleonischen Kriege, die deutschen Kriege zur Reichsgründung und schließlich an den „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“, von 1914-1945, wie die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts von neueren Historikern und den Briten betitelt werden. Die Liste der Kriege des Abendlandes (einsehbar bei Wikipedia) ergibt den klaren Beweis, dass die Lehren der Bergpredigt des so genannten Christentums in der menschlichen Geschichte keine Rolle gespielt haben, sondern dass es nach Darwins Gesetz immer nur um Macht und Mammon ging.

So war es auch im 20. Jahrhundert, als nach der Gründung des 2. Deutschen Reiches ein neuer „christlicher“ Player die „Weltordnung“ der westlichen Hyänen zu erschüttern drohte. Nachdem die Deutschen sich neben den Juden bereits im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, insbesondere nach der französischen, amerikanischen und deutschen Aufklärung, als besonders kulturinnovativ und nach der bismarckschen Reichsgründung auch als hervorragende Erfindernation mit unglaublicher ökonomischer Fortune gezeigt hatten, beschlossen die christlichen Nachbarn, voran die Angelsachen, diesem Aufstieg möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Eine weitere solche Entwicklung hätte die Weltherrschaftsattitüde des British Empire ernsthaft in Gefahr brachte. Es ist nicht glaubhaft überliefert, ob die Kaiserlichen ihrerseits ebenfalls von einer Weltherrschaft träumten, die Nazis taten dies jedenfalls und erzogen umgehend den deutschen Herrenmenschen.

Heute, hundert Jahre nach den Versailler Verträgen, sind die Archive geöffnet und es ist erwiesen, dass der Zweite Dreißigjährige Krieg viele Väter hatte1). Deutschland hatte diesen Krieg nicht begonnen. Er wurde 1896 unter der britischen Krone beschlossen und ist im Grunde bis heute nicht beendet. Das anglo-amerikanische Imperium hat seither dutzende weitere Kriege vom Zaun gebrochen und geführt. Eins seiner Ziele, die Kolonisierung Russlands, wie es einst Halford Mackinder forderte, hat es bislang nicht erreicht. Doch es arbeitet unverdrossen weiter an dessen Verwirklichung.

Wir Deutschen sollten uns einer Mitwirkung an diesem Vorhaben endgültig verweigern. Vielmehr sollten wir von der Völkergemeinschaft unsere Rehabilitierung und einen Friedensvertrag fordern, um den ewigen Waffenstillstand von Compiègne sowie die anglo-amerikanische Besatzung endlich zu beenden. Nur so wird in Europa Frieden werden! Und nur so kann die deutsche und die europäische Frage anständig, humanistisch und rechtlich einwandfrei gelöst und der deutsche Schuldkult beendet werden. Alles andere ist anglo-amerikanische Kolonialpolitik im Stile des 19. Jahrhunderts.

1) siehe Schultze-Ronhoff „Der Krieg, der viele Väter hatte“.

Bitte lesen Sie dazu auch diesen erhellenden Artikel von Jürgen Todenhöfer